Donnerstag, 2. Dezember 2010

Ein Gentleman und Schutzengel

Ein bezaubernder Moment

Heute durfte ich einen ganz besonderen Augenblick erleben und möchte ihn an Euch weitergeben. Ich weiß nicht, ob meine Worte es vermögen, diese hinreißende, kleine Begebenheit so zu schildern, dass Ihr nachempfinden könnt, was ich in diesem Moment fühlte, aber ich werde mir Mühe geben.

Es ist der 2. Dezember 2010. Seit Tagen hat es hier in München geschneit. Wir haben einen Wintereinbruch erlebt, wie es ihn schon seit Jahren nicht mehr gab. Sozusagen ein Wintermärchen, allerdings begleitet von den dazugehörigen Negativeffekten, wie Eisesglätte, Tiefsttemperaturen um die -10°, Matschtümpel und Schneeberge an den Straßenrändern.

Da stehe ich also nach der Arbeit am Straßenrand, einer breiten vierspurigen Straße und beobachte meine Umgebung während ich auf den Bus warte, der sich wie gewohnt verspätet. Die Anzeigetafel spricht seit etwa fünf Minuten davon, dass der Bus in zwei Minuten kommt, doch irgendwie scheine ich ein anderes Zeitkontinuum mein Eigen zu nennen, als es mir die städtischen Verkehrswerke eintrichtern wollen. Doch irgendwie kann mich das heute nicht aus der Ruhe bringen.

Ein alter, hagerer Mann geht an mir vorbei. Ganz automatisch registriere ich sein Aussehen. Er geht noch erstaunlich aufrecht und zügig für sein fortgeschrittenes Alter. Seine Kleidung ist ordentlich, ja geradezu gepflegt. Die festen Winterschuhe trägt er zu einer schwarzen Anzughose, darüber einen ebenfalls schwarzen Halbmantel und einen eleganten Marineblaugold gemusterten Schal. Seinen Kopf bedeckt ein nobler schwarzer Stetson. Allein seine gediegene Aufmachung versetzte mich bereits in Erstaunen, denn wann sieht man ein derart gepflegtes und geschmackvolles Auftreten heutzutage noch? Überhaupt wirkte alles an ihm altmodisch elegant, sogar sein weißes Haar trug er der Mode der Jahrhundertwende um 1900 angepasst, in leichten Wellen, im Nacken etwas länger.

Sein schmales, markantes Gesicht strahlte eine in sich ruhende Gelassenheit aus, die er auch nicht verlor, als er die matschige Straße überquerte, als die Ampel endlich auf Grün umschlug. Ich weiß nicht warum, aber ich konnte meine Augen nicht von ihm abwenden. Daher entging mir auch die folgende bezaubernde Begebenheit nicht.

Auf der anderen Straßenseite stand eine ältere Dame. Ebenfalls geschmackvoll in beigefarbener Hose, sandfarbener Winterjacke, bestückt mit einem weinroten Halstuch und einem sandfarbenen Hut, an dessen Seite eine Seidenschleife prangte. Sie stützte sich auf einen Gehstock und blickte ein wenig hilflos auf den Schneehügel, der sich vor ihr auftürmte und den Fußgängerübergang blockierte. Ganz offensichtlich wagte sie es nicht, mit ihrem Stock bewaffnet und doch hilflos, dieses Hindernis zu überwinden.

Nun hätte man erwarten können, dass es wie in der heutigen, manchmal sehr gefühlskalten Welt üblich, dazu kommen würde, dass diese beiden Menschen einfach unbeachtet aneinander vorbeigehen würden. Doch zu meiner grenzenlosen Verblüffung, deutete der edle Retter eine leichte Verbeugung an, lüpfte den Hut für einen kurzen Moment und bot der hilflosen alten Dame dann seinen Arm, um ihr über das Hindernis hinweg zu helfen.

Könnt Ihr Euch vorstellen, was ich in diesem bezaubernden Moment empfand?
Eure
Sylvia


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